Henri «l`original» und seine Farm – erster Wwoofer-Einsatz
La Borie – ein Selbstversorgerhof in der Nähe Rouffignac in Frankreich mit Tieren, vielen Obstbäumen, alten Werkzeugen, viel Herzlichkeit, fast ausschliesslich Handarbeit und wir mittendrin. Wie es uns als Wwoofer erging, wie unsere Arbeit ausgesehen hat, wer Henri «l`original» ist und wo es uns heute überall weh tut – das erfährst Du hier.

Es gibt eine Webseite namens Wwoofer.net. Hier suchen Agriculteure, Ecolieus, Weinbauern, etc. auf der ganzen Welt Menschen, die für Cost und Logis mithelfen. Als ich ca. 24 Jahre alt war, habe ich davon erfahren und wollte schon damals diese Erfahrung machen. Hat aber nie geklappt! Nun haben wir uns bei einem Selbstversorgerhof angemeldet, der schreibt, dass 9 Kinder auf dem Hof leben. Hier haben wir die Zusage erhalten, dass wir ankommen können, wann wir wollen. Das hat uns gepasst. Wir waren natürlich aufgeregt, weil wir ja nicht wussten, was da auf uns wartet – eben diese verflixte Ungewissheit. Nun, an einem Sonntagabend, es muss um den 18. September 2022 gewesen sein, sind wir also auf La Borie, Nähe Rouffignac, mit Säckle und Päckle eingetrudelt. Kurz vor dem Target lagen im Wald viele Tontöpfe herum, Hängematten waren aufgehängt und es zeigte sich das steile Hügelende. Plötzlich erhob sich ein grosses Landhaus vor uns empor. Ein Landhaus, was wie vor 300 Jahren gebaut, aussah. Mittlerweile wissen wir, dieses Landhaus wurde vor nur 30 Jahren nach altem Stil für eine Grossfamile mit 9 Kindern vollständig von Hand gebaut - und zwar jeder einzelne Balken aus dem Wald abgetragen und zwar jeder einzelne Balken aus dem Wald abgetragen und von Hand verarbeitet. Die Kinder haben allesamt mitgeholfen, wie man auf den Fotos im Haus sehen konnte. Unglaublich.

Wir kamen also an und niemand war da, nur zwei Hunde haben uns freundlich angebellt, äh begrüsst. Wir haben unsere Frieda hingestellt, herumgeschaut, herumgerufen, herumgestöbert und haben schon das Ausmass an Handarbeit anhand der vielen verschiedenen Werkstätten wahrgenommen. Später haben wir einfach zu Abend gegessen und die Kinder langsam bettparat gemacht. Es war schon dunkel als aus dem Wald schnell und laut brausend ein grosser alter Schulbus über die Wiese geschossen kam (wir haben ja die Einfahrt verstellt) und vor dem Hauseingang stehen blieb. Ich stieg aus um zu schauen, ob dies jemand von der Farm war. Und da war ein lustiger, grossväterlicher Mann aus dem Bus gesprungen, hat mich herzlich empfangen und gerufen «oh, les nouveaux Wwoofeur sont là, très bien! Je suis Henri. Ooooh, les enfants! Mignon» («Oh, die neuen Wwoofer sind da, sehr gut! Ich bin Henri. Oh, die Kinder! Wie herzig!») Alle drei Kinder schauten gerade halbnackig aus der Windschutzscheibe beim Wohmi heraus. Der lustige Henri hat sich mit seinen Armen auf unsere Kühlerhaube geknallt und laut und freudig die Kinder begrüsst: «ooooh, vous allez au lit! Vous voulez être en forme pour demain! Nous allons au bois ! » (Oh, ihr geht zu Bett! Ihr wollt wohl parat für Morgen sein! Wir gehen ins Holz!») Er wollte alle Namen wissen und hat ein riesen Tamtam gemacht vor Freude. Dies war unsere erste Begegnung mit Henri. Ironischerweise hiess der eine Hund Tamtam. Wir waren erstaunt über die Power, die Freude und die Gelassenheit zugleich von diesem Mann. So sind wir mal schlafen gegangen und waren weiterhin aufgeregt, was uns wohl der nächste Tag zeigen wird. Tief war der Schlaf allerdings nicht.
Mittlerweile wissen wir es
Henri (73 J.) lebt mit seiner Tochter (32 J.) auf dem Selbstversorgerhof mit 80ha Land, ca. 80% davon Wald, 8 Hühnern, 4 Kühen, 1 Stier, 2 Kälbern, 4 Pferden, 1 Esel, 2 Schafen und 2 Hunden. Die neun Kinder sind schon erwachsen und haben selbst Kinder – es sind mittlerweile schon 29 Grosskinder! Henri und seine Tochter produzieren fast alles selbst, was es zum Leben braucht und sind wahre Lebenskünstler: vom Holzen im Wald für Feuer zum Kochen, Duschen, Heizen zu Wasser holen aus der Wasserquelle mit der Pferdekutsche, zu Gemüse und Obst aus dem Garten holen, der gerade hergibt, was er einfach hergibt, zu Obst pfücken, Milch, Käse, Joghurt, Brot und Pizza selber machen. Einfach alles wird hier selbst produziert. Da lodern zeitweise Feuer in Wohnstube, Werkstatt, Küche und Bäckerei. Es ist ein riesiges Haus in U-Form mit mehreren Werkstätten, einer Sägerei, einer Bäckerei etc. Und jedes Häuschen wurde selbst gebaut.
«Wir sind ins letzte Jahrhundert zurückgekehrt»
Zuerst wussten wir nicht, ob es den Kindern gefallen würde, weil eben keine Kinder da waren. Aber neeeeein, sie wollten nicht mehr weg. Sie haben es alle drei von Anfang an so genossen, dass Henri ihnen alles gezeigt hatte, dass er sie in alle Arbeiten miteingebunden hat und sie überall mithelfen durften. Ohne Druck und ohne Zwang. Henri war wie ein liebevoller Grossvater für die Kinder, aber auch für Martin und mich. Er hat uns vom ersten Augenblick an mit seiner lebensfrohen, herzlichen Art und seinem Sinn für Humor in sein offenes Herz hereingelassen. Henri zeigte uns hier ein Leben wie es bei uns noch vor 100 Jahren teilweise gelebt wurde, alles von Hand und alles mit viel Liebe gemacht. Henri sagt: «pas travailler, pas manger». Die Kinder sind begeistert, zu sehen, was dahintersteckt, wenn man zum Kochen die Herdplatte erwärmen muss und nicht einfach am Knopf andrehen kann. Sie sind begeistert, dass sie Traktorfahren und auf dem Pferd ohne Sattel reiten können. Wenn Brot gebacken wird, wird ein riesiges Feuer gemacht, was über die nächsten 5 Stunden abbrennt. Da züngelt das Feuer aus dem grossen Steinofen heraus, da haben wir nur gestaunt. Und wenn Glut da ist, dann fällt sie wie Lava aus dem Steinbackofen. Das Brot wird in riesigen Behältern mit viel Mehl und viel Mehlstaub geteigt. Martin ist zwar selbst Bäcker – aber auch er hat gestaunt wie Henri das Brot bäckt.
Die Tomaten aus dem Garten warenso saftig. Die Vermicelles-Crème und der Honig sowie die Tomatensauce – alles selbst gemacht und deliciös – wurden in riesigen Bratpfannen in der Küche vorbereitet. Und jeder Besuch half mit, egal bei was. Wir waren 7 Personen um die Kastanien zu Konfitüre zu verarbeiten.
Unser strukturierter Tagesablauf was sehr unstrukturiert
Wir standen auf, wenn entweder die Glocke geläutet hat oder wenn wir einfach wach waren. Meist zwischen 7 und 8 Uhr. Dann gaben wir dem alten Pferd und den Hühnern Futter. Dann gingen wir jeweils zu den Kühen. Da molken wir bis uns die Finger weh taten. Santino stellte sich als wahrer Molker heraus.
Dann assen wir jeweils ausgiebig Frühstück bis ca. 10 Uhr oder auch später. Danach war immer Küche sauber machen dran. Im Wohnbereich hat Lavinia fast jeden Tag mit Besen und Schüfeli den Boden gefegt. Irgendwann hat sie Martin geholfen den Boden sogar glänzend zu schrubben.
Dann konnten wir zuschauen wie Milch zu Käse und Joghurt zubereitet wurde. Eigentlich ganz einfach, brauchst nur zu warten und die richtige Temperatur zu erwischen.
In der ersten Woche waren wir fast jeden Tag im Wald und haben Holz zersägt, gehackt, getragen und aufeinandergestapelt. Martin hat sofort den Namen «Le Canadien» erhalten, weil er so stark war und viel Holz gehackt hat. Henri hat von da an jede Möglichkeit genutzt um uns zum Einziehen auf La Borie zu bewegen. Die Jungs konnten sogar lernen selbständig Traktor zu fahren. Henri sagt: «Auf La Borie wird nicht gearbeitet, hier machen wir Muskeln.» Oder «Du brauchst kein Fitnesscenter, auf La Borie bekommst du echte Muskeln».
Es konnte auch sein, dass ich die Pferde von weit herholen musste, sie sattelte und mit Henri die verlorenen Kühe im grossen Wald suchen gingen. Einfach, damit wir zum Reiten kamen. Zwei Kühe und ein Kalb waren nämlich plötzlich verschwunden und dies wussten wir, weil der Stier plötzlich auftauchte. Ich war ein bisschen besorgt, da ich von Zuhause her «wusste», dass Stiere gefährlich sein können. Als ich Henri fragte, was wir machen sollen, wenn wir den Stier antreffen? Da sagte er: «oh, dann gehst Du hin und kraulst ihn hinter den Ohren. Das mag er gerne.»
Es sind schon so viele Geschichten zum Nachspielen entstanden, die Kinder sind geerdet und im Himmel zugleich. Es macht einfach Spass.
Tiefstes Frankreich kennengelernt
Henri hat uns auch immer mit ein Dorf in der Umgebung mitgenommen. Le Bugue, Rouffignac, Bergerac...Er ging zur Kirch-Messe und uns hat er an den Märit geschickt. So haben wir schon einige verschiedene französische Dörfer, Kirchen und auch Menschen kennengelernt wie zum Beispiel den interessanten Jean-Francis in Rouffignac. Er hat eine schöne Essecke, wo er nur sonntags viele leckere, vegane und kolumbianisch-angehauchte Speisen auftischte. Alle sind eingeladen mitzuessen, hier trifft man sich und isst, trinkt und bespricht, was die Woche durch gelaufen ist. Die Donation ist soviel wie Du geben möchtest. Zwei Sonntage waren wir da und wir wurden schon ins Dorfleben von Rouffignac eingeführt. Es war ein lockeres Beisammensein mit Humor und spannenden Menschen.
In dieser französischen Umgebung, im Périgord noir z. Bsp. um Le Bugue, sind viele sehr gut erhaltene prähistorische Höhlen zu besichtigen, in denen die Höhlenmenschen vor rund 35`000 Jahren gelebt haben. Höhlenmalereien sind sogar erhalten geblieben.
Der Ritt des Lebens führt durch Dornbüsche
Am Donnerstagnachmittag wollte Henri mit mir zu einer Kirchenmesse reiten. Er hatte es recht eilig um rechtzeitig da zu sein. Wir nahmen also jeder ein Pferd – Isaii und Kefir - und hopp hopp ging es im Galopp auch schon über die Weide davon. An dieser Stelle ein riesen Dankeschön an meine Mama, die mir das Reiten überhaupt ermöglicht hat. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich auf ein Pferd steige und damit davongaloppieren kann. Egal, wie schwierig oder einfach das Pferd ist, das Können ist einfach da. Weiter ging es den steinigen Bergweg runter und unter Baumästen hindurch. Der Ritt ging über Stock und Stein, mal im Trab, mal im Galopp, einmal durchs dicke Gebüsch, zum Glück hatte ich den Helm getragen, denn durch den Dornbusch mit Gesicht voraus im Galopp – prost Nägeli. Es fühlte sich etwa so an: Wenn Du mit dem Kopf durch die Wand rennst und die Wand geht nicht kaputt – zieh einen Helm auf!
Mittlerweile ritten wir also nach ca. 8 km immer noch auf den älteren Pferden im Trab und Galopp und peng - da ist es passiert: Mein Pferd Isaii stolperte über seine eigenen Füsse und fiel vornüber. Und ich fiel mit ihm - er fällt auf mein Bein und rollt zum Glück nicht über seinen Rücken, sondern wieder auf seine Beine zurück, so dass sein Gewicht wieder von mir runterkam. Wir hatten beide Glück. Henri lachte und sagte: «Oh, oui, Isaii tombe quelque fois » (« Oh ja, Isaii fällt manchmal»). Meine Antwort kam nach ein paar unsicheren Schritten: «Ok, ah, c`est connu? Alors, nous changeons les cheveaux!» («Ah, das ist bekannt? Dann wechseln wir die Pferde») Das war crazy Henri – er treibt einen an und allez, allez, lacht dabei und du lachst einfach mit, auch wenn du gerade vom Pferd übertümpelt wurdest. So geht das. Henri hat immer noch gelacht, aber die Pferde haben wir trotzdem gewechselt. Wir dürfen immer sofort verändern, was uns nicht gefällt.
Zwei Wochen – wir spüren die Knochen
Fazit nach zwei Wochen Arbeit auf La Borie: Martin hat einen zerquetschten Zeigefinger von der schweren Holztür, Carmen hat Schmerzen in Schulter und Daumen vom Sturz mit Pferd, Santino hat einen blauen Fleck auf dem Rücken vom Sturz vom Esel und Lavinia und Aurelio haben die üblichen Bobos. Glücklich, zufrieden, mit einem vollbepackten Rucksack voller Eindrücke und einer erweiterten Familie auf La Borie, verabschieden wir uns mit Tränen in den Augen und ziehen weiter Richtung Süden.
Auf dem Weg dahin begleiten uns seit Sonntagnachmittag meine beste Freundin Claudi mit ihrer Tochter Chanelle, meinem Gottemeitschi. Vielleicht kommen wir wieder nach La Borie zurück – wir würden uns sehr freuen. Wir haben jedenfalls sehr viel gelernt, viel entdeckt, viel gestaunt über Henri, seine Methoden und die Arbeit, die sie hier verrichten.
Die Tontöpfe übrigens sind ein Projekt mit einer Tontöpferei aus Zagora in Marokko. Die Tontöpfe werden hier verkauft.
Henri hat gemeint, er kann immer Hilfe gebrauchen, ich solle es ruhig hier erzählen. Falls also jemand Lust hat, das echte Leben kennenzulernen und aus dem Zuviel-Denken ins Einfach-Tun kommen möchte, ist hier auf La Borie herzlich Willkommen. Das ist Henris Nr.: +33 630 73 67 42.
Mit diesen Worten sage ich: «allez hop, hop! Nicht arbeiten, Muskeln machen! »
Wir vermissen Euch, wir lieben Euch und tragen Euch in unseren Herzen.
Carmen, Martin, Santino, Aurelio, Lavinia und Simba
Anmeldungen für die Hypnose-Therapie wie auch Kommentare sende gerne per Mail an carmen@bernerhypnose.ch.
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